Lignum Holzwirtschaft Schweiz

Holzbauten erdbebengerecht planen

Holz- und Bauingenieure sind zunehmend gefordert, schon in der Planung von Gebäuden Aspekte der Erdbebensicherheit mit einzubeziehen. Erstmals bietet die Berner Fachhochschule Architektur, Holz und Bau mit dem neuen Kurs ‹Erdbebengerechte Holzbauten› in Partnerschaft mit Lignum eine Weiterbildung in diesem Bereich an. Kursleiter Martin Geiser gibt im Interview Auskunft über das neue Angebot.

 

Geprüft im Massstab 1:1

Die dynamischen Eigenschaften dieses Gebäudes in Oberglatt wurden im Rahmen eines Projekts des Fonds zur Förderung der Wald- und Holzforschung experimentell ermittelt (Bild Pirmin Jung, Rain).

 

Kurs ‹Erdbebengerechte Holzbauten›

Zielpublikum: Holz- und Bauingenieure

Kursinhalt: Tragwerksdynamik, Seismologie, normative, rechtliche und Entwurfs-Grundlagen; Ergebnisse aus aktuellen Forschungsprojekten, Robustheit, Tragwerksnormen, Entwurf, konstruktive Durchbildung und Bemessung von Holztragwerken; Beispiele, Projektarbeit, Präsentation und Diskussion

Ausbildungsdauer: 27. August bis 30. Oktober 2015, 8 Kurstage, jeweils Donnerstag und Freitag

Ort: Biel, Berner Fachhochschule Architektur, Holz und Bau

Partner: Bundesamt für Umwelt BAFU, Lignum – Holzwirtschaft Schweiz, Schweizerische Gesellschaft für Erdbebeningenieurwesen und Baudynamik SGEB, swiss timber engineers ste, Gebäudeversicherung Kanton Bern GVB

 



Martin Geiser
dipl. Holzbauing. HTL/SGEB
Dozent für Statik und Konstruktion, Kursleiter Erdbebengerechte Holzbauten,
Berner Fachhochschule Architektur, Holz und Bau, Biel
Bild BFH-AHB

 


Herr Geiser, sind Holzbauten aufgrund ihres duktilen Verhaltens widerstandsfähiger gegen Erdbeben?

Es ist schon so, dass aufgrund der empirischen Regel der gleichen Verformungen unter seismischer Beanspruchung Duktilität gleichviel wert ist wie Tragwiderstand. Jedoch setzt ein duktiles Tragverhalten eine Überbemessung von 20% (zur Zeit in der Schweiz) der nichtduktilen Bereiche voraus, denn damit sich ein ganzes Tragwerk effektiv duktil verhält, muss sichergestellt werden, dass definierte duktile Bereiche die schwächsten Glieder der ganzen Aussteifung sind. Dass zum Beispiel aussteifende Holzrahmenwände quasi ohne Mehraufwand ein duktiles Tragverhalten aufweisen können, ist sicher von Vorteil. Dieser Vorteil kann aber erst im Rahmen eines spezifischen Nachweisverfahrens geltend gemacht werden: der Kapazitätsbemessung.

 

Was gilt es beim Erdbebennachweis von Holzbauten gegenüber Stahl- und Betonbauten besonders zu beachten?

Weil sie von vielen Parametern abhängt, ist die Steifigkeit der Holztragwerke deutlich aufwendiger zu ermitteln als bei Betonbauten. Für gewisse Eingangsdaten werden Werte eingesetzt, die zum Teil wenig abgesichert sind, oder es handelt sich dabei um etwas tiefere Werte, die auf der ‹sicheren Seite› liegen sollen. Jedoch befindet sich die ‹sichere Seite› in der Baudynamik nicht immer dort, wo man sie auf den ersten Blick erwartet. Da sie selbstverständlich nicht vom angewendeten Berechnungsverfahren, sondern vom Bauwerk selbst bestimmt wird, ist die ermittelte Grundschwingzeit als Beispiel kritisch zu bewerten. Weiter sind aufgrund der relativ niedrigen Steifigkeit der Holztragwerke die Gebrauchstauglichkeit infolge von Windkräften sowie die Aussteifung allgemein zu berücksichtigen.

 

Welche Grundsätze müssen schon im Entwurf und der Planung von Holzbauten berücksichtigt werden, um Kosten tief zu halten?

Selbstverständlich wird es auch mit den kompliziertesten Berechnungsverfahren nie möglich sein, dass aus einem schlechten Entwurf plötzlich ein gutes Bauwerk entsteht. Die alte Weisheit ‹Gut gestaltet ist halb gerechnet› gilt in diesem Zusammenhang nur noch mehr. Diesbezüglich ist wahrscheinlich ein Umdenken wünschenswert. Die Tragwerksplaner sollen also nicht nur ‹vertikal› denken, sondern auch vermehrt von Anfang an ‹horizontal›. Dabei ist der Regelmässigkeit der Aussteifung grosse Beachtung zu schenken. Übrigens, und das ist ein effektiver Vorteil der Holzbauweise, ist es durch den Einsatz von unterschiedlich steifen Elementen zum Teil möglich, das Steifigkeitszentrum mit dem Massenzentrum in Überstimmung zu bringen.

 

Ab August bieten Sie einen neuen Weiterbildungskurs für erdbebengerechte Holzbauten an. Wen sprechen Sie an, und welche Kompetenzen erreichen die Teilnehmer?

Der Weiterbildungskurs richtet sich an praktizierende Holz- und Bauingenieure, Bachelor- und Masterabsolventen. Die Teilnehmer werden die relevanten Normen, Ordnungen und Berechnungsverfahren kennenlernen und anwenden können. Weiter werden die Teilnehmer auf die erstrangige Wichtigkeit des Entwurfs ausgebildet. Nebst dem Ersatzkraftverfahren werden die Teilnehmer nach dem Kurs in der Lage sein, auch unregelmässige Holzbauwerke und solche mit Mischsystemen – zum Beispiel Holzrahmenbau kombiniert mit Brettsperrholz und Betonbauteilen – gemäss dem Antwortspektrumverfahren berechnen zu können. Aufgrund von Sensitivitätsanalysen und Diskussionen werden die Kursteilnehmer auf ein kritisches Bewerten der Berechnungsergebnisse sensibilisiert. Zusätzlich haben die Teilnehmer die Möglichkeit, ein Projekt aus ihrer Praxis im Rahmen der Weiterbildung zu besprechen, zu bearbeiten und anschliessend zu präsentieren.

 


Link 
Detailinformation zum Kurs und Anmeldung

Link Lignum-Dokumentation ‹Erdbebengerechte mehrgeschossige Holzbauten›