Lignum Holzwirtschaft Schweiz

Kreislauffähig Bauen mit Holz: ein Blick über die Grenze

300 Teilnehmer zählte im Oktober die 44. Fachtagung Holzbau BW, die in diesem Jahr kreislauffähiges Bauen mit Holz ins Zentrum stellte. Recyclinghaus Hannover, ‹The Cradle› in Düsseldorf, das neue Bürogebäude der Elektrizitätswerke Schönau und die Metropolitan School in Berlin – die vorgestellten Bauwerke nahmen die Teilnehmer mit auf eine Reise quer durch Deutschland.

Blick ins Tagungsplenum in der Filderhalle in Leinfelden.
Bild proholzBW

 

Nils Nolting von Cityförster architecture urbanism PartGmbH stellte mit dem Recyclinghaus ein experimentelles Wohnhaus vor, das bundesweit einen einmaligen Umfang des Einsatzes von Recycling- und Gebrauchtmaterialien ausweist. Dies führt nach Aussage des Architekten zu einer erheblichen Verminderung der grauen Energie und zu immensen Ressourceneinsparungen im Herstellungsprozess.

Rund 90% der Fassadenbekleidungen sowie sämtliche Fenster und Aussentüren wurden aus gebrauchten Bauteilen hergestellt. Auch beim Innenausbau wurde laut Nolting fast vollständig auf gebrauchte Bauteile und Materialien zurückgegriffen. Wichtig dabei: Die gebrauchten Bauteile wurden ausschliesslich lokal in der Region rund um die niedersächsische Landeshauptstadt gewonnen.


Düsseldorfer Vorzeigeprojekt

The Cradle› ist, so Carmen Stirmlinger von HPP Architekten Stuttgart, als erstes Düsseldorfer Bürogebäude in Holzhybrid-Bauweise geplant. Der Anspruch ist hoch: ‹Das im Medienhafen prominent liegende Gebäude hat das Ziel, zu einer Wiege der Innovationen zu werden und Impulse für die Zukunft des Bauens zu setzen›, so Stirmlinger. Der Einsatz von Holz steht im Vordergrund, lediglich die Untergeschosse, der aussteifende Kern und die Stützen des Erdgeschosses sind in Stahlbeton vorgesehen.

Die Tragwerksplanung von ‹The Cradle› liegt in den Händen von knippershelbig Stuttgart. Boris Peter erläuterte die Ausgangslage: ‹Die Konstruktionsprinzipien folgen dem Cradle-to-Cradle-Konzept, so dass bei allen Materialien auf Nachhaltigkeit und Recyclingfähigkeit geachtet wird. Es werden die technischen Möglichkeiten von Stahlbeton und Holz genutzt, das Gebäude lotet diese bis an die Grenze des Machbaren aus.› 


Schwarzwälder ‹Stromrebellen›

Konsequent auf den Baustoff Holz setzen die sogenannten ‹Stromrebellen› aus dem Südschwarzwald, die Elektrizitätswerke Schönau (EWS). Der 2020 fertiggestellte Neubau ihres Verwaltungsgebäudes wurde von Marco Engler, Harter + Kanzler Architekten Freiburg, und Markus Rommel, Ingenieurbüro Wirth-Haker Freiburg, vorgestellt.

Der vierstöckige Holzbau der Gebäudeklasse 4 besteht ab dem ersten Obergeschoss aus Brettsperrholz-Bauteilen für Wände, Decken und Dach mit sichtbaren Oberflächen aus Weisstanne. Beim Brandschutz werden die Anforderungen an hochfeuerhemmende Bauteile in Holzbauweise (F60) erfüllt. Aus Sicht des Tragwerksplaners richtete Rommel sein Augenmerk besonders auf die Erdbebensicherheit: ‹Die Bemessung der Erdbebenlasten zeigt, dass der Holzbau hier Vorteile hat und Aussteifungskerne aus Stahlbeton durchaus verzichtbar sind.›


Schulaufstockung in Berlin

Die Metropolitan School in Berlin, 2021 in der Kategorie ‹Bauen im Bestand› mit dem Deutschen Holzbaupreis ausgezeichnet, stellt die Erweiterung eines 1987 errichteten Stahlbetonbaus dar. Architekt Jürgen Bartenschlag von Sauerbruch Hutton Berlin beschrieb die besonderen Rahmenbedingungen: ‹Die Bauarbeiten mussten während des laufenden Schulbetriebes durchgeführt werden.›

Aus diesem Grund wurden die Aufstockungen als grossformatig vorgefertigtes Holzbausystem konzipiert, das die Bauzeit wesentlich verkürzte und die Baustellenemissionen minimierte. Das geringe Eigengewicht der Holzkonstruktion hatte zusätzlich den Vorteil, dass keine zusätzlichen Fundamente oder Eingriffe am Tragwerk des bestehenden Gebäudes notwendig waren. Die Nutzfläche der Schule wurde durch die Aufstockung um 3500 m2 erweitert.


Vertiefung in vier Blöcken

In zwei Parallelblöcken ‹Umgang mit Bestand› und ‹Kreislauffähiges Bauen› am Nachmittag wurde den 300 Besuchern der Fachtagung vertieftes Wissen geboten. Im ersten Block  referierten Uli Matthias Herres, Herres & Pape Architekten PartGmbH Salmtal, und Prof. Andreas Müller, Holzbauexperten GmbH, Biel. Müller, der bis 2021 die Leitung des Institutes für Holzbau, Tragwerke und Architektur der Berner Fachhochschule in Biel innehatte, erläuterte Aspekte der Zustandserfassung und Bewertung von Holzbau-Konstruktionen im Bestand.

Im zweiten Block stellten Prof. Ingo Lütkemayer, Hochschule Bremen, mit den Stadtwerken Neustadt in Holstein und Prof. Jürgen Graf von der TU Kaiserslautern mit der Werk- und Forschungshalle Diemerstein zwei Beispiele der Leistungsfähigkeit des Baustoffes Holz vor.


*Uwe André Kohler ist Geschäftsführer der proHolz Baden-Württemberg GmbH.


Link https://proholzbw.de