Rustico-Umbau im Tessin: rauhe Schale, behaglicher Kern
Oben: Offenes Wohnen auf drei Etagen: Im Inneren gibt Holz den Ton an. Blick ins erste Obergeschoss mit der raumprägenden Galerie. Mitte links: Ansicht von aussen. Das Naturstein-Mauerwerk des Rusticos wurde sorgfältig restauriert. Mitte rechts: Schlafraum im früheren Stall im Erdgeschoss. Der Sichtbeton-Block umschliesst Bad und sanitäre Anlagen. Unten links: Alle Öffnungen in der Gebäudehülle waren von Anfang an da. Sie lassen viel Licht ins Innere des Rusticos. Unten rechts: Aprite le porte: Den Ausgang auf die Terrasse flankieren Klappläden aus Lärchen-Altholz.
Bilder Christoph Kraneburg, Köln/Frankfurt | zvg Architekten
Das Valle di Blenio, das sich von Biasca zum Lukmanier emporzieht, ist ein unaufgeregt bodenständiges Tal, geprägt vom Wasser, das aus unzähligen stotzigen Seitentälern herunterschiesst, der Berglandwirtschaft, die es über Generationen zur Kulturlandschaft geformt hat, und dem ansässigen Gewerbe, nicht zuletzt im Baubereich. In neuerer Zeit sorgt auch der Tourismus für frische Impulse, zum Beispiel mit dem preisgekrönten Holz-Neubau des Centro Sci Nordico Campra in Olivone, doch ohne Auswüchse.
Anderthalb Jahre bis zur Baubewilligung
Hier haben SNAP Architekten ein Rustico erwerben können, das sie in Zusammenarbeit mit SJB Kempter Fitze AG (Frauenfeld) als Holzbau- und Mange + Müller AG (Bern) als Bauingenieuren für sich zum Feriendomizil ‹Casa Pasturagn› entwickelt haben. SNAP: Unter diesem Namen baut das Architektenpaar Carolin Schaal und Michael Nährlich für sich, für Freunde und Familie. Beruflich sind beide in grossen Architekturbüros in den Regionen Bern und Basel tätig. SNAP ist sozusagen ihr Freizeit-Label als baukreative Köpfe.
Rustici sind ursprünglich keine Wohnhäuser, sondern dienten vorwiegend landwirtschaftlichen Zwecken. Viele sind heute verfallen. Nicht so hier: Auf den ersten Blick, erzählen die beiden Architekten, habe das alte Gemäuer bereits bewohnbar ausgesehen. Dennoch dauerte es nach dem Kauf 2019 mehr als vier Jahre, bis das Resultat so dastand, wie es sich heute präsentiert.
Nicht nur die Pandemie verzögerte das Umbauprojekt. Die Bauherrschaft nahm sich vor allem Zeit, um zusammen mit lokalen Handwerkern für jedes Detail eine perfekte Lösung zu finden. Und auch behördenseitig war der Umbau des unter Schutz stehenden Objekts anspruchsvoll: Rund anderthalb Jahre dauerte es allein bis zur Baubewilligung.
Ein Haus aus Holz in einem Haus aus Stein
Der bestehende Bau, über zwei Ebenen als Wirtschafts- und Stallgebäude mit Heulager konzipiert, war 1943 auf den Grundmauern eines früheren Rusticos aus dem Jahr 1900 errichtet worden. Auf über tausend Metern über Meer steht das Haus frei in der Berglandschaft und blickt hinüber zur imposanten Adula-Kette mit dem Rheinwaldhorn als höchstem Punkt.
Dem Architektenpaar war bald klar, dass angesichts der ausgeprägten Hanglage des Rusticos mit drückendem Wasser und der Tatsache, dass das alte Natursteinmauerwerk nicht stark belastet werden durfte, eine Haus-im-Haus-Konstruktion angesagt war, also eine konsequente Trennung von Bestand und Neubau. Dieses Vorgehen garantierte eine homogene Konstruktion ohne Wärmebrücken und sicherte die ganzjährige Bewohnbarkeit.
Das alte Mauerwerk als bleibende Hülle wurde fachmännisch restauriert. Dass für das ‹Haus im Haus› das flexible und warme Material Holz zum Zug kommen sollte, lag für die gelernte Zimmerin Carolin Schaal auf der Hand. Die innenliegende Wandkonstruktion ruht auf einem Betonfundament. Sie ist ebenso wie der neue Dachstuhl gut gedämmt. Obergeschoss- und Galeriedecken wurden als sichtbare Holzbalkendecken mit Massivholzdielen aus heimischem Nadelholz ausgebildet. Mächtige Rundholzpfetten aus Tanne tragen das neue Blechdach mit vier Quadratmetern Fotovoltaik-Paneelen. Die Anlage versorgt das Haus mit dem benötigten Strom.
Offenes Wohnen auf drei Etagen
Das reichhaltige Holz-Innenleben der ‹Casa Pasturagn› erschliesst sich erst beim Eintritt, dafür aber mit einem Paukenschlag: Auf drei Open-Space-Ebenen schafft die gelungene Innenarchitektur eine moderne und zugleich sehr behagliche Ambiance. Die Grundidee, über drei Ebenen offenes Wohnen zu ermöglichen, beruht in erster Linie auf der Grosszügigkeit des Grundrisses sowie auf der Tatsache, dass die vielen Fensteröffnungen, die samt und sonders bereits vorhanden waren, unglaublich viel Licht ins Innere bringen.
Der frühere Stall im Erdgeschoss ist durch einen Sanitärblock aus Sichtbeton in Bad, Ankleide und Schlafraum unterteilt. Das Ganze bildet einen offenen, fliessenden Raum mit vorgelagerter Morgenterrasse. Hangseitig verbindet eine minimalistisch gehaltene Holztreppe die beiden Hauptebenen. Ein moderner Holzofen beheizt die komplette untere Ebene.
Das erste Obergeschoss folgt einer vergleichbaren Raumidee: Ein verputzter Kaminblock trägt eine von Giebel zu Giebel spannende Galerie, die das Reich der Kinder ist. Der Einbau gliedert elegant und räumlich durchlässig den wohltuend hohen Küchen, Ess- und Wohnbereich auf der ehemaligen Heuebene. Als Wandinnenbekleidung dient im ganzen Haus ein Kalkputz mit modern-rustikalem Finish.
Lokale Bauleitung als Glücksgriff
Die behördliche und bauliche Umsetzung des Umbauprojektes vertraute die Bauherrschaft mit der Devittori Architettura sagl einer erfahrenen lokalen Architektur- und Bauleitungsfirma aus Biasca an. Matteo Devittori beauftragte ausnahmslos Unternehmen aus dem Bleniotal mit Bezug zur lokalen Baukultur und den notwendigen Spezialkenntnissen für die Erhaltung und das Fortbauen des Bestandes.
‹Das regionale Netzwerk an Handwerkern und dessen Know-how so direkt anzapfen zu können, war Gold wert›, sagt Carolin Schaal. Holzwände, Geschossdecken und Dach übernahmen die Zimmerleute der O.B. SA Carpenteria in Biasca. Der gesamte Innenausbau des Ferienhauses sowie alle Fenster- und Türelemente lagen dagegen in der Hand der Schreinerfachleute von Oliva Falegnameria SA in Motto/Dongio.
Alle Fenster- und Türelemente wurden durch den lokalen Schreiner in Lärchenholzausführung handgefertigt. Die den originalen Holzverschlägen nachempfundenen neuen Holzläden entstanden aus Lärchen-Altholz. ‹Bei den Fenstern gab es kein einziges vorgefertigtes Teil›, erläutert Michael Nährlich. ‹Die Schreiner haben alles von A–Z selber gemacht.›
Schreiner-Handwerker als Experten
‹Das war eine ganz tolle Zusammenarbeit mit den Schreinern›, sagt Michael Nährlich. ‹Sie waren leidenschaftlich mit dabei, dachten aktiv mit und verlangten von uns laufend mehr Präzision – so zeichneten wir als Architekten am Schluss jedes Detail ganz exakt.› ‹Es lohnt sich, mit guten Handwerkern zu arbeiten und auf sie zu hören›, fassen Carolin Schaal und Michael Nährlich ihre Erfahrung bei diesem Herzensprojekt mit einer Stimme zusammen. ‹Denn das sind immer die Experten in ihrem Bereich.›
Nun verbringt die Bauherren-Familie noch so gern Feiertage, Wochenenden und Ferien in ihrer Tessiner Wohlfühl-Insel. Michael Nährlich macht ab Donnerstag auch ab und zu Homeoffice dort. ‹Die Casa Pasturagn ist ein Kraftort›, sagt Carolin Schaal. ‹Wir geniessen das Haus und die Landschaft in vollen Zügen, so oft wir können.›
‹Schön ist auch die Verbundenheit mit der Umgebung, die langsam wächst›, rundet Carolin Schaal ab. ‹Mit der Familie des früheren Besitzers haben wir einen guten Kontakt. Sie bewirtschaftet das Land rings um unser Grundstück. Dann helfen wir zum Beispiel manchmal beim Heuen mit und geniessen danach einen Apéro.› So kommt es, wenn man als Feriengast die Läden nicht die meiste Zeit im Jahr geschlossen hält: Die Verbundenheit mit dem Ort wächst.
Ausgewiesene Schreiner-Spezialisten finden Sie im Internet über die Schreiner-Suche unter www.schreiner.ch. Die technische Beratung der Lignum erteilt unter Tel. 044 267 47 83 von Montag bis Donnerstag jeweils morgens von 8–12 Uhr kostenlos Auskunft zu allen Fragen rund um Holz und seine Anwendung am und im Haus (Mail: hotline(at)lignum.ch).