Winterstromlücke sorgt für Energieschub in der Politik
Der Fotovoltaik-Zubau in der Schweiz ist im vergangenen Jahr gegenüber dem Vorjahr um 43% auf einen neuen Rekordwert von 683 MW angestiegen. Der Markt wuchs in allen Segmenten. Insgesamt waren Ende 2021 in der Schweiz Solarpanels mit einer Leistung von 3,65 GW installiert, die annähernd 6% des Schweizer Strombedarfs abdecken. Für das laufende Jahr rechnet der Branchenverband Swissolar mit einem Zubau von 850–900 MW (+25–30%). Auch andere erneuerbare Energien lassen sich noch kräftig ausbauen: So ist etwa das Windenergiepotential viel höher als bisher angenommen. In der Schweiz könnten gemäss einer soeben veröffentlichten Studie von Meteotest für das Bundesamt für Energie pro Jahr 29,5 TWh Strom aus Windenergie produziert werden, 19 TWh davon allein im Winterhalbjahr.
Grafik Swissolar
Alle reden jetzt vom Stromsparen. Die Zahlen sprechen allerdings eine andere Sprache. 2021 lag der Stromverbrauch in der Schweiz mit 58,1 Mia. kWh 4,3% über dem Niveau des Vorjahres. Zugleich stagniert die Inlandproduktion von Elektrizität. Sie sank im letzten Jahr um 8,2% auf 64,2 Mia. kWh. Nach Abzug des Verbrauchs der Speicherpumpen von 4,1 Mia. kWh ergibt sich für 2021 eine Nettoerzeugung von 60,1 Mia. kWh. Der physikalische Stromimportüberschuss lag bei 2,4 Mrd. kWh.
Als das Bundesamt für Energie diese Zahlen im April bekanntgab, gingen sie im Strom interessanterer Nachrichten unter. Doch im Juni horchte die Schweiz auf, als Energieministerin Simonetta Sommaruga mit einem kurzen Satz erklärte, welche Bedeutung die sich abzeichnende Mangellage bei Gas und Strom im kommenden Winter habe: ‹Es geht ums Ganze.› Nicht nur Sparen, auch der Ausbau der Energieerzeugung ist damit nach langem Stillstand angesagt. Am 17. August beschloss der Bundesrat, dass bereits im kommenden Spätwinter Gas-Reservekraftwerke mit einer Leistung von insgesamt über 300 MW zur Bewältigung von ausserordentlichen Knappheitssituationen bereitstehen sollten.
Energiekommission des Ständerates will mehr
Am Montag dieser Woche überraschte die ständerätliche Energiekommission mit einer deutlichen Forderung nach mehr. Sie anerkennt zwar die bisherigen Bemühungen des Bundesrates, einen Engpass bei der Stromversorgung in den kommenden Wintermonaten zu vermeiden, und begrüsst insbesondere den Entscheid zur raschen Bereitstellung von Spitzenlastkraftwerken. Angesichts der gravierenden Konsequenzen einer Strommangellage oder gar eines Versorgungsunterbruches müsse aber die Stromproduktion, insbesondere in den Wintermonaten, dringend weiter erhöht werden. Aus Sicht der Kommission ist zudem unabdingbar, dass diese zusätzliche Produktion auf erneuerbaren Energien beruht und damit klimaneutral ist.
Darum hat die Kommission einstimmig beschlossen, eine rechtliche Grundlage für die schnelle Realisierung von Freiflächen-Fotovoltaikanlagen zu schaffen. Dies betrifft Anlagen mit einem hohen Anteil von Winterstromproduktion, wie sie insbesondere im alpinen Gelände denkbar sind. Für solche Anlagen mit einer jährlichen Produktion von über 20 GWh soll von Gesetzes wegen gelten, dass ihr Bedarf ausgewiesen ist, sie standortgebunden sind, für sie keine Planungs- und Umweltverträglichkeitsprüfungspflicht gilt und dass das Interesse an ihrer Realisierung anderen Interessen von nationaler und kantonaler Bedeutung vorgeht. Vorausgesetzt wird die Zustimmung der Grundeigentümer und Standortgemeinden.
Parlament soll bereits diesen Herbst entscheiden
Zudem hat die Kommission einstimmig entschieden, dass die geeigneten Oberflächen von Infrastrukturanlagen des Bundes bestmöglich zur Nutzung von Sonnenenergie verwendet werden sollen. Darüber hinaus sollen ab dem 1. Januar 2024 sämtliche Neubauten verpflichtend mit einer Solaranlage ausgestattet werden. Baugesuche, die vor diesem Zeitpunkt eingereicht wurden, sind davon nicht betroffen. Die Kantone sollen unter bestimmten Bedingungen Ausnahmen erlassen können. Diesen Beschluss traf die Kommission mit 6 zu 6 Stimmen und Stichentscheid der Präsidentin.
Die Kommissionsanträge werden noch in der Herbstsession 2022 vom Ständerat behandelt. Eine dringliche Beratung soll sicherstellen, dass auch der Nationalrat und seine Energiekommission die Vorlage noch in der Herbstsession behandeln können. In der Form eines dringlichen Bundesgesetzes können die Bestimmungen dann kurzfristig in Kraft gesetzt werden. Auch ihren Antrag zum Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien (21.047) will die Kommission rechtzeitig zur Beratung in der Herbstsession 2022 vorlegen.
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